Das kommende Jahr steht im Zeichen der Digitalisierung des Bundes

Dr. Christian Schläger, CEO Build38

Ein Kommentar von Dr. Christian Schläger, CEO von Build38

Dem Feld der Prognostik liegt naturgemäß eine gewisse Unsicherheit zugrunde. Der Blick in die Kristallkugel ist häufig getrübt von unbekannten Faktoren oder einer falschen Gewichtung der mannigfaltigen Kriterien. Das kommende Jahr steht jedoch unter guten Vorzeichen, was die Digitalisierungsanstrengungen in Deutschland betrifft. Daher wagen wir uns voller Zuversicht an einen Blick in die nahe Zukunft und zeichnen ein Bild der absehbaren Entwicklungen im kommenden Jahr.

Deutschland wird spürbar digitaler werden

Dass die Digitalisierung auf der ganzen Welt jeden Tag weiter vorangetrieben wird, ist unstrittig und kann von jedem halbwegs aufmerksamen Beobachter bestätigt werden. Die Vorzüge von Digitalisierung und der damit eng verbundenen Automatisierung sind nicht von der Hand zu weisen. Arbeitsprozesse werden skalierbar und große Datenmengen fördern – unter Verwendung der richtigen Analysemethoden – unvergleichliche Erkenntnisse in allen Branchen und Anwendungsbereichen zu Tage.
Die Privatwirtschaft, vom Konkurrenzdruck getrieben, ist bei der Implementation moderner Lösungen wie Applikationen, APIs, IoT, sowie der Nutzung von Big Data schon bedeutend weiter, als dies viele staatliche Organisationen sind. Zwar stehen Staaten nicht im gleichen Maße im direkten Wettbewerb, wie dies im betrieblichen Umfeld der Fall ist. Doch die Fortschritte bei der Digitalisierung im öffentlichen Wesen ist durchaus eine vergleichbare Metrik. Und in diesem Vergleich schneidet Deutschland bisher leidlich schlecht ab. Digitalisierungsprojekte wie die elektronische Patientenakte ePA oder der Online-Ausweis eID stecken hierzulande noch in den Kinderschuhen; Vorzeigeländer wie Estland hingegen haben ihre öffentlichen Prozesse bereits seit vielen Jahren fast vollumfänglich digitalisiert. Sollte die neue Bundesregierung ihre Absichtserklärungen schnell in die Tat umsetzen und die Digitalisierung der deutschen Gesellschaft zügig und mit angemessenen Mitteln vorantreiben, könnten wir die Kurve noch rechtzeitig kriegen. Viel Zeit bleibt indes nicht, denn die beschleunigenden Kräfte der Automation sind ein entscheidender Wettbewerbsvorteil und wirken sich selbstverstärkend auf die zukünftige Entwicklung einer Gesellschaft aus.

Hier sind die wichtigsten Projekte, von denen wir 2022 einen Quantensprung erwarten:

  1. eID: Die digitale Identifikation ist der Grundstein aller offiziellen Prozesse der Zukunft. Vom Onlineshopping über Behördengänge bis hin zu jeglichem Vertragsabschluss ist eine verlässliche und sichere Ausweisfunktion unabdingbar.
  2. ePA/ePrescription/DiGA: Die elektronische Patientenakte verspricht einen Quantensprung für die medizinische Behandlung von Patienten. Gerade das deutsche Gesundheitssystem findet sich im internationalen Vergleich weit abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze wieder, was die Digitalisierungsmaßnahmen betrifft. Es wird Zeit sich vom Fax zu verabschieden und unserem ansonsten gut aufgestellten Gesundheitssystem mit den besten Voraussetzungen in die Zukunft zu schicken.
  3. Industrie 4.0 & Automatisation: Der Konkurrenzdruck hat viele der großen Produzenten bereits zu einer rapiden Implementation des höchstmöglichen Automatisationsgrades gezwungen. Viele der repetitiven Arbeitsabläufe in Produktions- und Lagerhallen werden heute bereits von internetfähigen Maschinen erledigt. Doch unter dem Druck marktwirtschaftlicher Mechanismen wird häufig das Ziel der schnellen Markteinführung vor die Anforderungen an die IT-Sicherheit gestellt. Das eine bringt in jedem Fall einen schnellen ROI, die monetären Vorteile des anderen sind zunächst einmal nur virtuell und somit schwer bei der Budgetrechtfertigung zu vermitteln. Da es sich bei vielen produzierenden und in der Lieferkette tätigen Firmen um systemrelevante KRITIS-Betriebe handelt, sollten von staatlicher Seite die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen und Sicherheitsstandards mit mehr Mitteln vorangetrieben werden.

Was früher die industrielle Produktion war, ist heute die Digitalisierung: Der entscheidende Faktor für das zukünftige Gewicht einer Nation in einer immer stärker vernetzten und von der Digitalisierung durchdrungenen Welt. Es besteht jedoch Anlass zur Hoffnung, dass die kommenden Jahre einen angemessenen Anstieg an nötigen Investitionen in die staatlichen Schlüsselprojekte mit sich bringt. Beim Datenschutz sind wir bereits globaler Musterschüler: Die DSGVO ist eine starke Marke, die bereits von vielen großen Staaten als Vorbild für eigene Initiativen genommen wurde (CCPA in Kalifornien, PIPL in China). Deutschland sollte dieses Momentum nutzen, um sich beim Thema digitale Sicherheit ebenfalls eine internationale Vorreiterstellung zu sichern – viele Plätze auf dem Podest der Digitalisierung sind nämlich nicht mehr übrig.