Woran denken Sie als erstes beim Stichwort „Künstliche Intelligenz“? An einen Algorithmus, der den Klimawandel lösen könnte, oder an HAL aus „2001: Odyssee im Weltraum”?
„KI” ist zu einem umfassenden Begriff geworden. Dabei hadern viele Menschen immer noch mit der neuen Technologien. Einer aktuellen Studie zufolge glauben 47 Prozent der Befragten, dass die Anzahl technologischer Innovation zu schnell steigt, und nur 56 Prozent vertrauen KI (Quelle: https://www.edelman.com/trust-barometer). Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bleibt künstliche Intelligenz ein Mysterium. Sie fürchten das große Unbekannte, das sich dahinter verbirgt, vielleicht sogar das eventuell Menschliche daran.
Dahinter steckt vor allem das Bild, das uns von den Medien vermittelt wird, etwa durch Serien wie „Black Mirror”. Bewegen wir uns schlafwandelnd auf einen Überwachungsstaat zu? Werden uns intelligente Maschinen am Arbeitsplatz ersetzen? Verwenden Social-Media-Unternehmen Daten, um uns einer Gehirnwäsche zu unterziehen? Es existieren viele Vorurteile und falsche Information. Da ist es kein Wunder, dass am Ende meist mangelndes Verständnis für die Ablehnung von KI sorgt.
KI befreien, Vorstellungen loslassen
Der niederländische Softwareentwickler Edsger Dijkstra hat einmal gesagt: „Die Frage, ob ein Computer denken kann, ist ungefähr genauso interessant wie die Frage, ob ein U-Boot schwimmen kann.“ Trotz der erwähnten Fiktionalisierungen kognitiver KI ist es nicht die wirklich interessante Frage, ob Computer denken können. Es geht an dieser Stelle nicht um eine philosophische Debatte darüber, ob KI zu Empfindungen in der Lage ist. Jedenfalls bereitet diese Frage Geschäftsführern keine schlaflosen Nächte.
Widmen wir uns der KI in der realen Welt. Worum geht es dabei? KI macht in unserer Welt vor allem eins: Daten nützlich und verwertbar. Die Verbreitung oder Demokratisierung von KI wurde vor allem angestoßen durch einen dramatischen Verfall der Rechenkosten. Rechenleistung wird in Gigaflops gemessen. In den 1960er Jahren hätte ein Gigaflop etwa 150 Milliarden US-Dollar gekostet. Heute wären es gerade einmal 3 Cents. Kombiniert man diese Entwicklung mit dem explosionsartigen Wachstum der Daten, versteht man, wieso Unternehmen so darum bemüht sind, zu erkennen, was sie mit dieser Technologie anfangen können.
Aber Demokratisierung ist nicht gleichbedeutend mit Verstehen – es ist lediglich der erste Schritt dazu. Die KI hat ein so unendliches Potenzial, das wir bisher noch nicht einmal die Oberfläche dessen, was die Technologie leisten kann, angekratzt haben. Die wahre Grenze sind unsere eigenen Ziele. Letzten Endes werden es Unternehmen sein, die mit Innovationen in der realen Welt die Karten neu mischen.
Sinnvolle Innovation
Bei Hitachi Vantara gehen wir davon aus, dass es jedem Unternehmen unter dem Strich um zwei Ziele geht: Einmal um das finanzielle Ziel, aber auch um eine gesellschaftliche Verpflichtung. Wir bezeichnen das als „Social Innovation”. Im aktuellen, von Misstrauen gegen Technologie geprägten Klima ist das nicht „nice to have” – sondern dringend notwendig. Organisationen müssen nachweisen können, dass sie die Grenzen der KI nicht nur erweitern, um Geld zu verdienen und zu sparen (wobei dies zweifellos auch willkommen ist).
Wieso spielt das eine Rolle? Eine Statistik zeigt, dass 10 Prozent des weltweiten BIP in der Logistik erwirtschaftet werden. Das ist eine Menge. Die kleinste Ineffizienz in der Logistikkette kann sich negativ auf die Kosten für Waren auswirken.
Ursprünglich stamme ich aus Tripoli im Nord-Libanon, einer der ärmsten Städte am Mittelmeer. In geringer entwickelten Teilen der Welt wie diesem bedeutet ein Anstieg der Lebensmittelkosten um fünf Prozent aufgrund einer Störung in der Logistikkette, dass die Familie fünf Prozent weniger zu essen hat. Und das wiederum wirkt sich negativ auf ihre Gesundheit aus. Für jemanden, der an der Grenze zum Überleben lebt, kann einfache Logistik dramatische Auswirkungen auf seinen Alltag haben.
Dass Logistik und Transport sich anschicken, zum großen Pionier in diesem Feld aufzusteigen, kommt demnach nicht überraschend. Dinge von A nach B transportieren klingt erst einmal ganz einfach, ist es aber absolut nicht. Für uns ist es selbstverständlich, im Supermarkt Erdbeeren aus Spanien und Äpfel aus Neuseeland zu erhalten. Nur selten machen wir uns den enormen Transportweg, der dahinter steckt, wirklich bewusst. Dabei ist es ein riesiger logistischer Aufwand, Erdbeeren zu jeder Jahreszeit in den Supermarkt zu bringen. Wenn schlechtes Wetter für eine Verzögerung der Warenlieferung sorgt, hat das einen Dominoeffekt auf den Rest der Lieferkette. Im vorigen Jahrhundert waren wir solchen Störungen hilflos ausgeliefert, doch 2019 besitzen wir die Technologie, um etwas dagegen zu unternehmen.
Es gibt Unternehmen, die bereits begonnen haben, KI einzusetzen, um diese Probleme zu lösen. Ein Beispiel ist Lineage Logistics, die in den USA Lebensmittel an Supermärkte liefern. Das Unternehmen nutzt KI, um aus den bestehenden Prozessen zu lernen und Ereignisse vorherzusagen, zu simulieren und zu optimieren, um letztendlich die Kosten und Schwankungen in der Logistikkette zu reduzieren. Und es geht nicht alleine nur darum, die Kosten zu senken – mit Optimierung lässt sich zum Beispiel auch die CO2-Bilanz der Logistik- und Transportbranche verbessern. So kann beispielsweise beim Einsatz von KI auf Schiffen der Kraftstoffverbrauch reduziert und die Umweltbelastung minimiert werden.
Der Stand der Dinge
In rund 30 Jahren wird die Weltbevölkerung voraussichtlich die Marke von 9,8 Milliarden erreichen. Das sind eine Menge Münder zu stopfen und eine Menge Essen, das von A nach B wandert. Vor diesem Hintergrund müssen wir stärker darüber nachdenken, wie wir diese Herausforderungen heute angehen können.
Wo stehen wir also derzeit? KI- und Advanced-Analytics-Projekte helfen bereits dabei, einige der größten Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen: Naturkatastrophen, Kriminalität, massenhafte Urbanisierung und den Klimawandel. KI birgt ein enormes Potential – sie könnte jeden Sektor, vom Gesundheitswesen bis zum Einzelhandel, völlig revolutionieren. Irgendwann wird sie einen noch stärker positiven Einfluss auf unser Leben haben und die meisten von uns werden es nicht einmal bemerken. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Autor: Wael Elrifai, VP Digital Insights Solution Engineering bei Hitachi Vantara