Paketbomben in Luftfracht – ein Interview mit der Vereinigung Cockpit e.V.

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Jörg Handwerg Pressesprecher VC e.V.

Jörg Handwerg - Flugkapitän und Pressesprecher VC e.V.

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Alexander Tsolkas: Sehr geehrter Herr Flugkapitän Handwerg, Sie sind ein erfahrener Linienpilot der Lufthansa und Pressesprecher der Vereinigung Cockpit e.V., und damit Vertreter der größten deutschen Gewerkschaft für fliegendes Personal. Natürlich fordern Sie Sicherheit für das Flugpersonal. Aber profitieren wir nicht alle davon? Seit ein paar Wochen häufen sich wieder die Meldungen zu Bombendrohungen, im speziellen Fall waren es Paketbomben per Luftfracht aus dem Jemen, bzw. aus Athen. Auch andere Länder und deren Three-Letter-Code-Agencies bzw. Airlines berichteten über Funde.

Herr De Maiziére hat die Staatssicherheitsorgane in eine höhere Alarmbereitschaft versetzt, speziell was eine Polizeipräsenz in Flughäfen und Bahnhöfen angeht.

Eine Paketscanner-Infrastruktur für Luftfracht gibt es noch nicht an den allermeisten Flughäfen der Welt, und das wird auch noch eine ganze Zeit lang dauern, nicht einmal die Körperscanner funktionieren bisher einwandfrei.

Deutschland ist ein Meister im Exportieren. Unsere Industrie ist auf Luftfracht angewiesen. Die Airlines transportieren Luftfracht und Passagiere zusammen auf einem Flug, und arbeiten Hand in Hand mit den Spediteuren. Für Spediteure und Airlines ist Luftfracht ein Milliardengeschäft.

Wie fühlt man sich als Kapitän(in) und Co-Pilot(in) mit oder ohne Familie in dieser Zeit auf einer Kurz-, Mittel- oder Langstrecke?

Jörg Handwerg: Man fühlt sich nicht anders, als sonst auch. Jedem Piloten ist bewusst, dass sein Beruf auch mit gewissen Risiken verbunden ist. Die Wahrscheinlichkeit durch eine Bombe betroffen zu sein ist extrem gering. Steigt man ins Auto macht man sich auch nicht jeden Tag Gedanken, ob man heil ankommt, obwohl viel mehr Menschen im Straßenverkehr verunglücken, als beim Fliegen.

Alexander Tsolkas: Bei Flugunfällen mit Airlines, die keine Sonderbestimmungen vereinbart haben und der IATA-Organisation angehören, ist ein Passagier über das Ticket bei Tod mit ca. 10.000 bzw. 20.000 US$ versichert. Trifft das auch für Anschläge zu, da diese höhere Gewalt darstellen?

Jörg Handwerg: Das ist eine Rechtsfrage, die man einem Anwalt stellen müsste.

Alexander Tsolkas: Wenn man wie Sie das „Gesamtkonzept Sicherheit“ an Flughäfen, wie z.B. dem Frankfurter Flughafen, aber auch den Flughäfen in der dritten Welt kennt und gesehen hat, wie verhält es sich dann bei einem Flug in dieser risikoreichen Zeit mit Luftfracht und Passagieren an Bord mit dem eigenen Gewissen gegenüber seinen Fluggästen? Kann man das noch mit sich und seiner Airline, für die man fliegt, vereinbaren?

Jörg Handwerg: Wir Piloten tun alles in unserer Macht stehende um die größtmögliche Sicherheit herzustellen. Aber es gibt nun einmal Dinge, die wir kaum beeinflussen können.  Über die Vereinigung Cockpit versuchen wir Einfluss auf die entsprechenden Entscheidungsträger auszuüben um eine verbesserte Sicherheit herzustellen und Schwachstellen zu beseitigen. Oft sind die Entscheidungen aber eher von politischen Interessen, als von Sachargumenten getrieben, was es uns nicht leicht macht. Der einzelne Kollege hat hier quasi keine Möglichkeit etwas auszurichten, weshalb er auch kein schlechtes Gewissen haben braucht. Es liegt nicht in seiner Verantwortung.

Alexander Tsolkas: Denken Sie als Flugkapitän, was Herr De Maiziére am 17.11. veranlasst hat, macht das Fliegen in Bezug auf Luftfracht und Paketbomben in Luftfracht sicherer?

Jörg Handwerg: Die Maßnahmen gehen grob in die richtige Richtung, aber wenn man nicht nur Flickschusterei vornehmen will, sondern endlich mal ein Sicherheitskonzept aus einem Guss erarbeiten will, dann geht das nicht über Nacht. Wir hoffen, dass die Diskussion dazu führt, dass man sich unser gesamtes „Sicherheitssammelsurium“ einzelner Maßnahmen einmal vornimmt und endlich ein Gesamtkonzept, bei dem angemessene, effektive Maßnahmen zu einem möglichst hohen Niveau an Sicherheit zusammengeführt werden, erstellt, statt unsere Ressourcen weiter mit teils vollkommen ineffektiven und unsinnigen Maßnahmen zu verschwenden.

Alexander Tsolkas: Wie viele Tonnen Luftfracht sind im Durchschnitt (nur ca.) auf einer Boeing 737 oder einem Airbus A320 geladen? Wie viele Fluggäste passen ca. zur gleichen Zeit noch in beide Flieger? Ca. wie viele Flüge allein von deutschen Airlines gibt es pro Tag? Wie hoch sehen Sie den Umsatzanteil einer Lufthansa durch Luftfacht in Passagierfliegern vom Gesamtumsatz?

Jörg Handwerg: Pro Jahr ist die Anzahl der  IFR-Flüge in Deutschland laut LBA mehr als 2 Mio., also ca. 5500 IFR Flüge deutschlandweit pro Tag.  Ein A320 kann mit 7 Containern vom Typ LD3 ca. 11 Tonnen Nutzfracht aufnehmen. Darunter sind natürlich auch die Koffer der Passagiere. Geht man davon aus, dass 150 Passagiere jeweils ca. 30 Kg (20 kg Koffer und 10 kg Handgepäck) mitnehmen können, könnte ein Flug auf einem A320 locker mehr als 5 Tonnen Luftfracht mitnehmen.

Alexander Tsolkas: Auf wie vielen verschiedenen Transportwegen kommt die Luftfracht an das Flugzeug? Wie viele Kilometer Weg legt sie im Schnitt alleine innerhalb des Flughafengeländes zurück? Gibt es hier Raum zur Manipulation? Ist Luftfracht auf Flughäfen permanent bewacht, oder steht die Palette auch einmal viele Stunden vor einem Flieger oder auf einem Flugzeugparkplatz, bis das Flugzeug auch eintrifft? Wann liefert der Spediteur an?

Jörg Handwerg: Die Luftfracht kommt auf allen erdenklichen Wegen zu den Frachtgesellschaften an den Flughafen. Die Kilometeranzahl hängt wohl von der Flughafengröße ab. Raum zur Manipulation gibt es sicherlich außerhalb des Flughafens deutlich mehr, solange nicht eine lückenlose Kette vom Versender an den Flughafen eingerichtet  ist, die sicherstellen kann, dass es sich noch um das abgeschickte, unversehrte Frachtstück handelt, welches auch versendet werden sollte. Innerhalb des Flughafens ist eigentlich Sicherheitszone, d.h. hier bekommt man nur Zugang, wenn man dazu berechtigt ist. Es ist also relativ egal, ob das Gepäckstück kurz oder lange herum steht. Wichtig ist dazu aber, dass sich niemand unberechtigt Zugang verschaffen kann und keine Gegenstände einschmuggeln kann. Dies ist aber vielerorts heute nicht ausreichend sichergestellt. Tendenziell steht die Fracht aber nicht auf dem Vorfeld, sondern befindet sich in der Halle und wird kurz vor dem Verladen ans Flugzeug gebracht, da meist nicht klar ist, wohin das ankommende Flugzeug überhaupt gestellt wird. Die Anlieferzeiten sind mir nicht bekannt. Das ist eine Frage für die Luftfrachtgesellschaften.

Alexander Tsolkas: Die Spediteure wie DHL, Kühne & Nagel, Panalpina, Schenker, und viele andere packen normalerweise an ihrem Umschlagshub in der Nähe eines Flughafens die Paletten mit Luftfracht, und wickeln Sie schön verpackt und stabil in Plastikfolie. Diese Paletten transportieren die Spediteure danach zum Flughafen, wo sie schließlich in die Flieger verladen werden. Die Spediteure haben viele Jahre lang gelernt das ordentlich zu verpacken. Doch halten Sie die Infrastruktur der Spediteure noch zeitgemäß? Wenn ich in Kelsterbach auf Spediteurs-Gelände herumlaufe, kann ich mich bei den meisten ohne große Mühe durch fast halb Kelsterbach bewegen. Die wenigsten haben ein bisschen zufriedenstellende Sicherheitsinfrastruktur, und man bekommt ja nicht nur Luftfracht von den großen Spediteuren. Spediteure haben für die physische Sicherheit den TAPA-Standard. Viele sind auch zertifiziert. Aber nutzt dieser Standard etwas bei Paketbomben?

Jörg Handwerg: Luftfracht muss unserer Ansicht nach, nachdem sie verpackt und kontrolliert wurde, so überwacht sein, dass eine Manipulation ausgeschlossen ist. Die Fracht muss deshalb so gekennzeichnet sein, dass eine Nachricht von der Spedition an den Empfänger am Flughafen geht, die dann mit dem Paket am Flughafen, wenn es ankommt, verglichen werden kann. So wäre ein Austausch ausgeschlossen. Die Verpackung muss so versiegelt sein, dass eine Manipulation nicht möglich ist. All dies ist bei den meisten Versendern nicht der Fall, sondern Manipulationen wären recht einfach vorzunehmen. Wie ein „Report Mainz“ Bericht kürzlich zeigte ist die Situation der „bekannten Versender“ zum Teil katastrophal. Der TAPA Standard ist mir nicht bekannt, da ich Pressesprecher bin und nicht in allen Gebieten bis ins letzte Detail den Wissenstand der Arbeitsgruppenmitglieder habe. Ich bitte um Nachsicht.

Alexander Tsolkas: Die Europäische Union hat in Ihrer Verordnung VO (EG) 2320/2002 die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Luftfrachtsicherheit inklusive der Durchführungsverordnungen erlassen. Diese war im April 2010 noch nicht auf der Seite des Luftfahrtbundesamtes zu lesen. Ich habe heute geschaut und es ist immer noch nichts über die Nr. 2320/2002 zu lesen, oder ich habe es nicht gefunden. Ist das nicht ein wenig langsam? In der Verordnung steht unter anderem, dass die transportierenden Airlines die Letztverantwortung tragen, in dem sie nur kontrollierte Fracht aus der Lieferkette annehmen. Ist das überhaupt sicherzustellen für eine Airline? Packen Sie die Palette vom Spediteur wieder aus und kontrollieren Sie nun alle Päckchen einzeln? Wenn aus den Warenlagern von Spediteuren jedes Jahr trotz TAPA-Sicherheitszertifizierung tonnenweise Material gestohlen wird, heißt das für mich, von intern oder extern hat sich jemand unrechtmäßigen Zutritt verschafft. Eine Manipulation an einer gepackten Luftfrachtpalette ist in diesem Fall auch nicht auszuschließen, oder? Luftfrachtscanner bei Spediteuren oder Airlines habe ich auch noch nicht gesehen. Eine Bombe in eine Luftfrachtsendung zu stecken, wäre für mich als Laie eine Leichtigkeit. Wie sehen Sie das?

Jörg Handwerg: Da die Vorschriften unkonkret sind, bleiben eben auch die Maßnahmen unkonkret. Das liegt in der Natur des Menschen. Die Airlines verlassen sich darauf, dass ein Paket entsprechend kontrolliert wurde, wenn es von einem der bekannten Versender kommt, da diese dies schriftlich „zusichern“. Ein untaugliches System. Ohne Kontrolle und konkrete Vorschriften funktioniert das nicht. Es gibt durchaus Scanner, teils am Flughafen, die auch zum Durchleuchten genutzt werden, aber die Mengen sind zu groß um alles zu durchleuchten. Es gibt deutliche Schwächen im System der EU, aber auch im Ausland. Sehr viel Fantasie benötigt man nicht, um diese zu finden.

Alexander Tsolkas: Die Politik wimmelt die Letztverantwortung für die Sicherheit von Luftfracht auf die Airlines ab. In den Gremien zur Luftfrachtsicherheit in Deutschland, der EU und weltweit sitzen zwar auch einige Vertreter von Airlines, aber hauptsächlich werden die ganzen Sicherheitsgeschichten für Luftfracht und Seefracht von Vertretern von Spediteuren in den weltweiten Gremien abgehandelt, und anschließend bei uns einer EU-Kommission als Gesetzesvorlage vorgelegt. Hat die Airline überhaupt eine Chance auf einen Einfluss bei all den Spediteuren in den Gremien?

Jörg Handwerg: Die Lobby der Spediteure, ebenso wie die Industrie selbst hat ein immenses Interesse möglichst wenig in die Sicherheit zu investieren, da es die Prozesse verlangsamt und somit Fracht teurer macht. Die Airlines haben kein Interesse durch aufwendige Kontrollen die Kunden zu vergraulen und die Politik möchte der Wirtschaft keine Lasten aufbürden. Deswegen tut sich erst etwas, wenn etwas passiert, obwohl die Probleme seit Jahren bekannt sind. Auch jetzt kam sofort der Aufschrei aus der Speditionsbranche, die, bevor überhaupt annähernd klar war, welche Maßnahmen eingeführt werden könnten, jammerten, dass es die Transportwirtschaft zu sehr belasten würde.

Alexander Tsolkas: Ich würde bei der Luft- und Seefrachtsicherheit beim Spediteur oder Transporteur anfangen. Ich würde Scanner im Terminal des Luftfrachtspediteurs aufstellen, aber auch in Fahrzeugen, die Luftfracht annehmen, wie die Fahrzeuge von Fedex, UPS, u.v.m. Postämter müssten die Geräte auch besitzen. In jedem Frachthub eines Spediteurs, in dem Sendungen umsortiert werden nach Zielorten, müsste es die Scanner geben. Natürlich müsste das auch die Infrastruktur und Dienstleistung eines Flughafens hergeben. Wie denken Sie darüber? Wer könnte eine so mächtige Infrastruktur stellen? Spediteure jammern über 2% Marge in Schnitt im Geschäft. Wer verdient eigentlich am meisten an Luftfracht? Könnte das jemand alleine bezahlen, oder wären Kunden, Spediteure, Airlines, Flughafenbetriebsgesellschaften und Politik hierzu gemeinsam gefragt?

Jörg Handwerg: Das Thema kann ich nicht in drei Sätzen hier erörtern. Scanner alleine sind kein Allheilmittel, da man diese auch überlisten kann. Einzig eine Kombination aus Profiling, intelligenten Checks, verbunden mit Scans, Sicherheitsbereichen, Geheimdienstinformationen, Sicherheitsüberprüfungen, Unterdruckkammern, Zufallschecks, lückenloses Sicherstellen der Transportkette etc. kann zu einem sinnvollen und somit auch hinreichend sicheren System führen. Die Kosten werden doch letztlich immer vom Kunden getragen, dafür bekommt er auch (mehr) Sicherheit.

Alexander Tsolkas: Am Ende zahlt das wieder der Kunde, oder?

Jörg Handwerg: Ja, wie schon erwähnt. Um die Kosten niedrig zu halten brauchen wir deshalb keine „Brute Force“ Methode, sondern eine intelligente Verknüpfung mehrerer Maßnahmen und abgestufte Sicherheitsüberprüfungen, die je nach Risikoeinschätzung, sowie stichprobenartig durchgeführt werden.

Alexander Tsolkas: Die VC forderte schon bei dem Zwischenfall mit einem Nigerianer (der Schoßbomber) am 25 Dez., der eine Bombe in seinen Weichteilen schmuggeln wollte ein ganzheitliches Sicherheitskonzept im Luftverkehr? Warum glauben Sie reagiert unsere Politik nicht darauf? Derzeit hören wir auch nur von Frau Merkel und unserem Innenminister in der Sache, fragen Sie sich auch wie ich, was unser Verkehrsminister in dieser Sache unternimmt? Beim Eyjafjallajökull war er in den Medien präsenter.

Jörg Handwerg: Zuständig für die Sicherheit der Bürger ist meiner Ansicht nach in erster Linie, wenn es  sich um Kontrollen handelt, der Innenminister. Das sind auch unsere Ansprechpartner und nicht das BMVBS in Sachen Sicherheitskontrollen. Die Passagierkontrollen sind bei der Bundespolizei angesiedelt, die Fracht bisher beim Luftfahrtbundesamt; einmalig in der Welt, dass hier getrennte Verantwortlichkeiten vorhanden sind. Aus unserer Sicht sollte die Verantwortung komplett in die Hände der Bundespolizei gelegt werden, da diese auch die entsprechenden Verbindungen haben zu den Geheimdiensten und ein Sicherheitsgesamtkonzept sich besser steuern lässt, wenn die Zuständigkeiten gebündelt sind. Der Verkehrsminister ist natürlich auch im Moment noch verantwortlich, aber die Hauptverantwortung dafür, dass nichts geschehen ist, liegt beim Innenministerium, die unsere Hinweise zumindest immer abgetan haben. Der Verkehrsminister hat unserer Auffassung nach vollkommen richtig gehandelt, was das Ascheflugverbot anging. Sicherheit stellte er hier ganz klar vor Wirtschaftlichkeit, was man von den Airlines nicht gerade behaupten konnte.

Alexander Tsolkas: Wie lange könnte es ein Herr Mayrhuber mit seiner LH ohne Päckchen im Flugzeugrumpf verkraften

Jörg Handwerg: Die  LH Cargo könnte sicherlich kaum ohne Fracht aus den Bellys der Passagiermaschinen existieren.

Alexander Tsolkas: Wenn es am Ende der Kunde bezahlt, welcher ein Päckchen verschickt, dann würde ich es als Kunde nicht tragen wollen, sondern würde verlangen die Transportgüter Mensch und Fracht zu trennen, da dies für mich billiger wäre. Das wäre das Günstigste für den Kunden. Warum sollten Kunden die Infrastruktur mit bezahlen, nur weil die Frachtgüter niemand trennen mag, bzw. eine Airline bei einer Trennung derzeit immense Verluste machen würde?

Jörg Handwerg: Luftfracht ist in der Regel zeitsensitiv. Wenn Sie die Fracht nicht an einer Stelle sammeln, bekommen Sie keine Flugzeuge damit voll. Fracht wird also in kleineren Mengen, die den Einsatz eines kompletten Flugzeuges nie rechtfertigen würden, aus ganz Europa an eine Stelle gebracht, z.B. Frankfurt und dort dann zum Teil wieder in kleinere Passagiermaschinen umgeladen, um zum Ziel zu kommen, oder eben in Langstreckenflugzeuge gepackt, um dann gebündelt in die Ferne zu fliegen. Diese großen Mengen, die benötigt werden, um eine Langstreckenmaschine zu füllen, bekommt man aber nicht zeitnah ohne Zubringerfracht voll. Andererseits wenn man bspw. in Dresden etwas verschicken wollte und warten müsste, bis man dort den Flieger voll bekommt, wäre ein zeitnaher Versand nicht mehr machbar. Eine Trennung ist nicht praktikabel.

Alexander Tsolkas: Was halten Sie davon in dieser risikoreichen Zeit auf Passagierflügen – zumindest für eine Zeit lang – keine Luftfracht zu transportieren, bis eine geeignete und funktionierende Infrastruktur im Rahmen eines ganzheitliches Sicherheitskonzeptes steht? Meinen Sie wir benötigen derzeit auf die Schnelle eine derartige Regulierung? Finden Sie die Politik müsste einschreiten, denn ohne Luftfracht auf Passagierflugzeugen würde dies zweifelsohne zu Arbeitslosen bei den Airlines – aber nicht nur bei den Airlines – führen? Wie könnte man hier subventionieren? Kurzarbeitsgeld? Luftfrachtverzichtszulage beim Ticketpreis, ähnlich wie bei der Spritzulage?

Jörg Handwerg: Wie schon gesagt, es ist nicht praktikabel.

Alexander Tsolkas: Wenn ein Staat für die Sicherheit seines Volkes verantwortlich ist, wäre es dann nicht im Sinne von uns allen, wir lassen die Luftfracht auf Passagierflugzeugen weg, und subventionieren die Airlines als Letztverantwortliche zumindest so lange, bis sie ihre Frachtflotte vergrößern können und Passagiere und Fracht strikt trennen können? Ein bisschen sparen bei einem Passagierflug ohne Luftfracht könnten die Airlines am Treibstoff auch. Das ist natürlich ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Jörg Handwerg: Die Passagierflüge ohne Fracht sind vielleicht machbar, aber extra Maschinen für die Fracht einzusetzen, obwohl das Aufkommen nicht annähernd reicht um eine Maschine zu füllen, ist nicht machbar. Statt täglich, vielleicht sogar mehrfach, die Möglichkeit eines Passagierfluges zu nutzen, um Fracht zu transportieren, mehrere Tage zu warten, bis man eine Frachtmaschine voll hat, ist nicht realisierbar in der heutigen Welt des „Just in Time“.

Alexander Tsolkas: Was möchten Sie als VC, den Airlines, den Spediteuren, dem LBA, der Politik aber speziell Ihren Passagieren in dieser Zeit mit auf den Weg geben?

Jörg Handwerg: Es gibt nirgends im Leben hundert prozentige Sicherheit, was nicht heißt, dass man nicht danach streben kann, muss sich aber der Grenzen in diesem Streben bewusst sein. Panik ist nicht angebracht, da das Risiko auch heute, betroffen zu sein, sehr gering ist. Die Politik sollte mehr auf die Fachleute hören und seine Entscheidungen nicht so sehr nach politischen Gesichtspunkten, sondern eher nach sachlichen Argumenten fällen. Das kostet zwar manchmal mehr, ist aber auch effektiver.

Alexander Tsolkas: Ich bedanke mich für das Interview, Ihre Zeit und Ihre detaillierten Ausführungen zu meinen Fragen, und wünsche Ihnen als alter Flieger alles Gute, „Hals und Beinbruch“.

Jörg Handwerg: Danke und „Happy Landings“.

P.S. Neuigkeiten aus dem Verkehrsministerium : http://www.welt.de/politik/article11184193/Ramsauer-macht-Versandfirmen-in-NRW-dicht.html?wtmc=RSS.Politik.Politik Wow!

Alexander Tsolkas