Goldman Sachs prägt neuen Ausdruck “Perpetuum Kohle”…

Zum Skandal und der 550 Mio US$ Strafe von Goldman Sachs möchte ich gerne noch einmal folgenden Artikel in Erinnerung rufen.

Am 3.7 wurde der Software Designer und Programmierer Sergey Aleynikov alias Serge durch das FBI verhaftet, als er auf Flughafen Newack aus Chicago kommend das Flugzeug verlies. Samstags schon stand er vor einem US-Bundesrichter und wurde in Untersuchungshaft genommen. Das FBI wirft ihm Wirtschaftsspionage, Verstoß gegen das Handelsgeheimnis, Insiderinformationsweitergabe vor. Vermutlich stattete er in Chicago seinem neuen Arbeitgeber einen Besuch ab, der ihm ein 3-faches Gehalt von 1.200.000 US$, so die Behörden, anbot. Nicht schlecht für einen Programmierer. Nun, ich zeige Ihnen noch kurz auf, wie auch Sie das schaffen können als Programmierer.

Serge, wie er sich selbst in Linked-In nannte, war Vize President auf dem Broadway 85 bzw. 1 New York Plaza – Broadway oder Plaza, das ist leider nicht mehr nachvollziehbar, da sein detaillierter Bloomberg Lebenslauf seit kurzem nicht mehr online ist. Dort wo er arbeitete, bei Goldman Sachs hatte er jedoch nach Linked-In folgende Verantwortung:
Entwicklungsleitung für eine verteilte Echtzeit Hochfrequenz Handelsplattform. Seine Hauptingenieursleistung bestand darin, eine sehr niedrige Latenzzeit (Millisekunden) für eine ereignisgesteuerte Marktdatenverarbeitung, Strategie und einen Orderplazierungsgenerator in dem System zu entwickeln. Das System sollte Multicast-Marktdaten aus Nasdaq, Arca/NYSE, CME erhalten und analysieren, und spezielle Algorithmen sollten dafür Sorge tragen, dass auf diese Multicast-Marktdaten mit Latenzanforderungen, die sich nach dem Marktgeschehen und den aktuellen Marktkonditionen richteten, reagiert wird. Das Ganze sollte in einer Echtzeitmonitoring-Lösung die Auslastung und den Status des Handelsprozesses überwachen und darauf reagieren. Dafür kamen Technologien zum Einsatz wie z.B. boost, ACE, TibcoRV, Erlang, SNMP und verteile in Echtzeit replizierenden Datenbanken. Daraus sollten wichtige Handelsentscheidungen getroffen werden, die auf Andrang im Markt und auf Queuingverzögerungen (Latenz) basiert sein sollten. Weiterhin war er verantwortlich für die Entwicklung von Echtzeit-Marktanlange-Steuerungsbetrieb, Orderverarbeitungsmaschinen sowie Handelstools für einen quantitativen Anteilskapital handelnden umsatzgenerierenden HFT desk.

Serge hatte Folgendes gemacht. Bis zum 1. Juni hat er sich bis zu 4 mal nach Arbeitszeitende an einem Goldman Sachs Server mit seinem Arbeitgeberpasswort angemeldet und 32 MB Code heruntergeladen, den er unter anderem auf Servern in Deutschland zwischenspeicherte. Er kündigte zum 5. Juni und teilte seinem Gruppenleiter mit, dass er in Chicago auf seinem Fachgebiet HFT bei der Konkurrenz einen Job angenommen habe, die ihn 3 mal besser bezahlen würde.

Das Programm, das er von Goldman Sachs heruntergeladen hatte, beinhaltete mathematische Algorithmen, die automatisierte Order auf dem Markt abgeben konnten. Order dieser Art generierten für Goldmann Sachs viele viele Millionen pro Jahr. Bei seiner Verhaftung durch das FBI gab er an, er hätte nur verschlüsselte Open-Source-Dateien heruntergeladen, an denen er arbeitete. Später erst habe er bemerkt, dass er deutlich mehr Files heruntergeladen hätte als beabsichtigt. Serge hat im Grunde genommen den eigens dafür entwickelten und geheimen, automatisierten Code für den Aktien- und Wirtschaftsgüterhandel im Handelsraum von Goldman Sachs gestohlen. Damit würde Goldman Sachs 100-150 Million US$ im Jahr verdienen, so die Quelle von Russen in Wien, die Serge kennen.

Nun, abgesehen vom kriminellen Serge, gibt uns dieser Kriminalfall ein wenig mehr Einsicht in die Arbeitsweisen der Börsen, der Wall-Street und anderen Handelsräumen und Banken… Das System verleiht Goldman Sachs einen kleinen Millisekundenvorsprung vor anderen Händlern und Konkurrenten an der Börse und in den Handelsräumen, da Goldman Sachs mit der Börse eng verbunden ist, seine eigenen Trades kennt, die Trades dritter durch Order kennt, die in einem Timeslot von Goldman Sachs verarbeitet werden sollen, wobei mit Hilfe der Latenzzeit im System genau diese Marktdaten gesichtet und analysiert werden können – und in kürzester Zeit eine Order-Entscheidung seitens Goldman Sachs getroffen werden kann. Goldman Sachs springt sozusagen auf den fahrenden Zug auf, schaut was er geladen hat, und noch bevor der Zug den Zielbahnhof erreicht, hat Goldman Sachs seine Einkäufe oder Verkäufe platziert. Hmmm? Lecker! Das würde ich auch gerne, nur leider handelt niemand über mich.

Im Aktienhandel war Goldman Sachs an der NYSE mehrfach die Nummer 1, so etwa am 19.6. Eine Woche später, am 22.6 war Goldman überhaupt nicht mehr gelistet unter den besten 15 Firmen, Goldman war einfach aus der Liste verschwunden. Danach kündigte NYSE an, sie würden Änderungen an den Daten vornehmen, die zur Erstellung der Top-15-Liste führen würde. Der Zerohedge-Blog nahm dies genauer unter die Lupe. Tyler Durden vom Zerohedge Blog kam kürzlich mit einer Interpretation des ganzen Kriminalfalls heraus. Das ist absolut lesenswert. Ich fasse zusammen:

Demnach ist durchaus möglich, dass Goldman NYSE dazu aufgefordert hat die Berechnung zu ändern, als sie merkten, dass jemand in den Computercode eingedrungen ist, den Goldman dazu verwendete. Es folgt, wie die Klageschrift die Goldman Handelsplattform beschreibt: Die Finanzinstitution hat gewaltige Ressourcen bereitgestellt, um eine Plattform zu entwickeln und zu betreiben, die der Finanzinstitution erlaubt, sich in Hochgeschwindigkeits- und Volumenhandel verschiedener Aktien- und Wirtschaftsgüterhandel zu engagieren. Neben anderen Funktionen ist die Plattform in der Lage, sehr schnell Informationen zu sichten und zu verarbeiten, die schnelle Entwicklungen in diesen Marktsegmenten darstellen.

Mittlerweile fangen Staatsbehörden an Serge Aleynikov zu glauben, so auch, dass er Hilfe gehabt hat. Die deutsche Web-Seite, auf die er den Code geladen hatte, ist auf einen Engländer registriert. Das wiederum lässt den Verdacht aufkommen, dass das alles ein internationaler Spionagefall sein könnte.
Er gibt eine Menge Rätsel auf, dieser Fall, und mit der Zeit werden immer mehr Puzzleteile zusammengefügt. Aleynikov und seine Frau waren Tanzamateure. Es gibt einige Videos auf Youtoube zu sehen. Laut Anklage bezahlte eine Firma, bei der er eine neue Stelle antreten sollte, 3 mal soviel Gehalt – warum? Welche Firma in Chicago heuerte ihn an? Das giant hedge fund conglomerate Citadel? Die waren es nicht. Aus Eigennutz hat Serge das meiner Meinung nicht wirklich getan. Wenn er den Code geändert hätte aus einem Anlass, ähnlich wie bei dem Skandal vor vielen Jahren, als ein Programmierer einer Bank die x-te Dezimalstelle nach dem Komma bei der Rundung auf sein Privatkonto überwiesen hatte, um sich zu bereichern, dann hätte er keinen neuen Job mehr benötigt, wo man ihm 3 mal so viel geboten hätte. Er hätte kleinlaut gewechselt und – ähnlich wie bei Goldman – versucht, in den Code des neuen Unternehmens die gleichen Algorithmen einzubauen usw. usw. Das ist es, was mich skeptisch macht.

Ich bin gespannt, wer Serge alles geholfen hat, welchen Einfluss das auf das automatisierte Handeln hat, auf das Abschneiden von Goldman im nächsten Quartal , und vor allem, wie das ganze Debakel noch für Goldman ausgehen wird… Eines ist sicher: NYSE hat mittlerweile seinen Algorithmus geändert, wie sie zu den Top-15-Händlern kommen. Ich bleibe gespannt, was sich hier als nächstes abzeichnen wird. Nach der Bankenkrise und dem Handel mit Looser-Zertifikaten, kann ich gar nicht verstehen, wie man als Goldman mit dieser Methode noch richtig Geld gemacht haben soll? Nach der Gaußschen Normalverteilung hätte die Plattform mindestens genauso viel Mist auf dem fahrenden Zug kaufen müssen wie Gold, denn hauptsächlich hat Goldman sicherlich nachgeschaut, wer kauft wie viel Äpfel und Orangen, um selbst auf den Zug aufzuspringen und mitzubieten, um an den Kursen alleine durch Spekulation Gewinne einzufahren. Auf jeden Fall ist das wieder einmal ein richtig schöner Skandal, den man mit viel Klatsch versehen kann.

Die Finanzmärkte sind wirklich skandalös, einer nach dem anderen. Wann gibt es hier endlich BESSERE Kontrollen? Diejenigen, die die Finanzmärkte und deren Firmen prüfen, müssen so grottenschlecht sein, das es schon einen Riesenlacher wert ist, wenn mir zum Beispiel jemand seine Visitenkarte vorhält oder behauptet, er käme von DER oder DER großen Unternehmensberatung. Da liege ich auf dem Rücken, und meine acht Bauchmuskeln verkrampfen vor Lachen, bis mir Tränen in die Augen schiessen. Entweder sind die alle total ungeschult, blind oder sie werden vielleicht sogar bestochen, man erkläre mir bitte, wie es sonst ständig zu solchen Disastern kommen kann.

Die Idee allerdings, das muss man auch dem kriminellsten Subjekt lassen, ist genial. Ich greife einen Timeslot ab, nutze die Latenz, um die Order zu analysieren, und leite es dann binnen der Millisekunden an den Markt oder die Börse weiter, und biete mit – oder verkaufe. Wie sagte schon ein mir bekannter CFO eines Großunternehmens früher: “Wenn die Wirtschaftsprüfer nicht spuren bei der Prüfung und nur das anschauen, was ich ihnen zeige, dann nehme ich mir im nächsten Jahr eben eine andere Wirtschaftsprüferfirma, die besser erzogen ist”. Das fand ich damals cool. Ich fand, was für ein Entscheider, Power, Macht. Heute handelt der Hugo vielleicht mit meinem Geld.

In meinem nächsten Artikel zeige ich Ihnen, warum das Abhören des internationalen Bankennetzwerks und mehr…S.W.I.F.T durch den amerikanischen Geheimdienst mindestens genauso lukrativ ist, wenn nicht noch mehr, als das, was Goldman Sachs oder vielmehr Serge angestellt hat, und wie man damit gezielt einer ausgewählten Marktwirtschaft schaden kann, z.B. im Ausland. So long.

27.07.2010
Alexander Tsolkas