Mensch oder Computer

Profiling-Seminar in einem deutschen Großkonzern.
Profiling-Seminar in einem deutschen Großkonzern?
Was hat das dort zu suchen? Will man einen firmeninternen Serienmörder ausfindig machen oder einen Wirtschaftsspion entlarven?

Ganz und gar nicht. Profiling-Seminare können die Sozialkompetenz der Mitarbeiter erhöhen, die Kommunikation effizienter gestalten und wirken persönlichkeitsbildend. Deshalb findet sich auch im Titel des Profiling-Seminars immer der Hinweis, dass es um verschiedene Formen der Sozialkompetenz gehen wird.

Die Teilnehmer haben sich freiwillig aus einem großen Angebot an Weiterbildungskursen für dieses Seminar entschieden.

Meine Arbeit beginnt schon beim Eintreffen der Teilnehmer. Auftreten, die Platzwahl und der Smalltalk vor Beginn lassen Rückschlüsse auf Verhaltensmuster während des Trainings zu. Sind Menschen wirklich so berechenbar? Nur bis zu einem gewissen Punkt und einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Aber das genügt ja, um einen effizienten Umgang zu pflegen.

Eine Dame fällt mir allerdings auf. Ihre Körperhaltung, Kleidung und Auftreten lassen in mir den Verdacht aufkommen, dass ein gewisser Perfektionsdrang vorhanden ist. Sie ist korrekt-freundlich, aber auch distanziert und in ihren Worten schwingt ein wenig Herablassung mit. Sie wählt einen Sitzplatz, den hauptsächlich Menschen wählen, die während des Seminars gerne für sich reflektieren und nicht weiter auffallen wollen. Das passt zu ihrem gerade gezeigten Verhalten. Doch dann lässt mich eine Bemerkung von ihr aufhorchen. Sie sei schon gespannt auf das Seminar (für das sie sich ebenfalls freiwillig angemeldet hat), denn sie frage sich schon die ganze Zeit, wie man für ein doch so logisches und offensichtliches Thema wie Sozialkompetenz 2 Tage verwenden könne. Sozialkompetenz hätte man eben oder eben auch nicht.
Ah! Interessant! Die Dame ist also mit Sicherheit davon überzeugt, zu den Privilegierten zu gehören, denen die Sozialkompetenz in die Wiege gelegt wurde. Na, wir werden sehen.

Das Training verläuft im Grunde so wie ich es erwartet habe. Die erwähnte Dame macht bei den Übungen mit, wie von ihr verlangt mit einem genauen Maß an Enthusiasmus. Ihr Verhalten ist jedoch sehr unspontan. Beim Persönlichkeitstest dann bricht ihr Perfektionismus heraus. Obwohl sie gebrieft wurde, dass es kein Richtig oder Falsch bei diesem Test gibt, sondern nur Tendenzen, revidiert sie ihre Antworten, die ja intuitiv erfolgen hätten sollen, mehrmals, um die korrekte Antwort zu finden. Dadurch ist sie bei weitem die letzte, die fertig wird, was natürlich nicht zu ihrem Perfektionismus passt. Man kann deutlich erkennen, wie sie sich darüber ärgert. Ihr Ärger richtet sich nonverbal gegen mich, die ich ihr diese – in ihren Augen – Unzulänglichkeit aufzeige.

2 Tage lang erzähle ich den Leuten, dass wir nur situativ auf menschliches Verhalten reagieren können und Menschen sich nicht nach Typ A, B oder C in Schubladen einordnen lassen, auch wenn tendenziell vielleicht ein Typ A-, B- oder C-Verhalten vorliegen mag. Sozialkompetenz zeige man dann, wenn man flexibel auf das gereide gezeigte Verhalten reagieren könne.

Ich ernte äußerst positives Feedback nach den 2 Tagen bei der Verabschiedung.

Als letzte (kaum überraschend) will unsere erwähnte Kandidatin den Raum verlassen und wendet sich dann doch noch einmal in vorwurfsvollem Ton (auch nicht überraschend) an mich. Sie sei doch ein wenig enttäuscht (überrascht mich auch nicht, jetzt kommt die Retourkutsche für ihr Gefühl, dass ich sie vorgeführt hätte), denn sie hätte sich gedacht, hier einen Leitfaden für den Umgang mit Menschen zu erhalten (ich bin noch immer nicht überrascht). Ich frage sie, ob sie denn wollen würde, dass es das gibt, denn dann könnte man ja diesen Leitfaden auch auf sie selbst anwenden. Sie antwortet, dass solche Leitfaden dann natürlich schon in die richtigen Hände gehören würden. Ich frage sie, wer denn zu den Leuten mit den richtigen Händen gehören würde und wer das entscheiden soll.

Etwas pikiert sieht sie mich an und meint: das sei ja wohl sonnenklar, dass sie mit ihrer Ausbildung das ja wohl schon einschätzen könne.
Einen kurzen Moment bin ich überrascht, aber eigentlich auch nicht.

Menschen sind keine Computer. Letztere maßen es sich nicht an, zu entscheiden, ob der User fähig genug ist oder nicht. Computer stecken uns Menschen nicht in Schubladen. Sie wollen uns nicht ausnützen. Computer sind nicht sauer, wenn man sich einmal eine Woche lang nicht mit ihnen beschäftigt.

Vielleicht sind Computer die besseren Menschen.

Eure
Astrid